Überalldurchatmen mit Luisa und
Lars auf Usedom
Der mit dem Wolf fährt
Als hinter dem Deich die Wölfe zum Geheul anstimmen, verschwindet der ruhige Ausdruck auf Lars’ Gesicht. Eben noch hat er den Blick über das Meer schweifen lassen. Ein Wochenende lang will Lars – 23, Psychologiestudent, wegen einer Behinderung auf Beatmungsgerät und Rollstuhl angewiesen – mit seinen Eltern an der Ostsee entspannen. Doch dann schwillt dieses unheimliche Wolfsheulen an und nach Entspannung sieht Lars jetzt gar nicht mehr aus. Stattdessen grinst er breit. „Da sind sie, endlich!“, sagt er zu Inge und Michel, seinen Eltern, die neben ihm im Sand stehen.
Das Heulen kommt näher, bis der erste Wolf angeleint am Aufgang zum Strand erscheint. Moment mal, angeleint? Nein, natürlich ist das hier, bei Heringsdorf auf Usedom, kein Wolf! Sondern ein Husky, ein Schlittenhund, gefolgt von sieben weiteren Huskys, einem kompletten Schlittenhundegespann. Begleitet wird es von einem kräftigen, glatzköpfigen Mann, der einen vierrädrigen Wagen hinter sich herzieht, und einer zierlichen blonden Frau, die der lärmenden Meute mit scharfen Befehlen sagt, wo’s lang geht. Nämlich schnurstracks auf Lars und seine Eltern zu. „Die Hunde können’s kaum erwarten“, sagt Marianne, die Schlittenhundeführerin, als sie in Rufweite ist. „Wie geht’s dir, Lars?“ – „Ich hab’ da richtig Bock drauf. Ich glaub’, das wird Freiheit pur“, antwortet er.
Freiheit, das ist für Lars ein großes Thema. Wegen einer diastrophischen Dysplasie sind seine Arme und Beine deutlich kürzer als bei anderen Menschen. Sein Rückenmark und seine Atemmuskulatur sind geschädigt, nachts ist er auf LUISA, sein Beatmungsgerät, angewiesen. Tagsüber unterstützt ihn LUISA bei besonderer Belastung. Auch jetzt geht Lars noch einmal an die Beatmung – um Kraft zu tanken für das bevorstehende Abenteuer.
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LUISA
Beatmungsgerät

Rückblende: Erst am Tag zuvor hatten Lars, Inge und Michel das sogenannte Musher-Camp in Heringsdorf erkundet, ein Lager von Hundeschlittenführern, die mit ihren Hunden für ein Rennen nach Usedom gereist sind. Rasch kommt Lars hier mit dem Musher-Paar Marianne und Dirk ins Gespräch. Als die beiden von seinem von langer Hand vorbereiteten Plan hören, sind sie ganz begeistert: „Du willst mal mitfahren? Klar, das kriegen wir hin!“, antwortet Dirk.
Keine 24 Stunden später wird Lars auf einen speziellen Autositz geschnallt, der Sitz mit Spanngurten dann am Trainingswagen der Musher befestigt. Die Hunde bellen ungeduldig, Lars ist schließlich startbereit. Er sitzt vorn auf dem Wagen, hinter ihm steht Marianne in Musher-Pose. Ein kurzes Kommando, die Hunde laufen los, der Wagen setzt sich ruckartig in Bewegung. Trainingswagen werden von Mushern genutzt, wenn nicht genug Schnee für Schlitten liegt. Auch mit ihnen sind rasante Fahrten möglich, Marianne hat bis zu 30 Stundenkilometer versprochen.
Und so rast der Wagen jetzt gen Horizont, Inge schaut ihm staunend hinterher. „Guck mal, guck mal!“, ruft sie ihrem Mann aufgeregt zu. Michel guckt, schweigend allerdings, genauso wie Dirk, dessen Augen ganz feucht zu schimmern beginnen. Und Lars? Sitzt grinsend im Wagen, genießt den Speed, das Flowgefühl. Lässt sich den Fahrtwind um die Nase pfeifen und von jeder Unebenheit im Boden richtig durchschütteln. „Das war total genial“, erzählt er später, als er aus dem Sitz und in seinen Rollstuhl gehoben wird. „Ich war wie schwerelos!“
Am Abend, im Hotel, ist die Stimmung immer noch ausgelassen. Lars und sein Vater Michel planen schon das nächste Abenteuer: Tauchen gehen würde Lars so gern einmal. „Da ist uns leider noch keine Lösung für das Beatmungsgerät eingefallen“, erzählt er. Inge, die zugehört hat, schüttelt den Kopf: „Irgendwann, irgendwie kriegen wir das hin. So ist es bisher immer gewesen. Seit wir Lars haben, gilt für uns nur ein Motto: Geht nicht? Gibt’s nicht!“